Das Arbeitsschutzrecht in Deutschland verpflichtet alle Arbeitgeber nach Paragraph 3 des Arbeitsschutzgesetzes, die größtmögliche Sicherheit der Beschäftigten zu gewährleisten und ihre Gesundheit zu schützen. Das gilt insbesondere für Gefährdungen, die aufgrund der Tätigkeit, der verwendeten Arbeitsmittel, eventuell gefährdender Stoffe oder anderer externer Einflussfaktoren auf die Mitarbeitenden einwirken könnten. Die Intention des Gesetzes sowie seiner nachgelagerten Verordnungen und Regeln kann daher im übertragenen Sinn aus der Medizin als pathogenetischer Ansatz verstanden werden – die Ursachen beziehungsweise Gefährdungen werden erkannt, verstanden und mit Maßnahmen bekämpft: Man wehrt das Schlechte für die Gesundheit ab. Proaktiv Gutes für die Gesundheit zu tun, also salutogenetisch vorzugehen, findet sich dagegen in der Idee des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) wieder, das in den vergangenen rund 20 Jahren einen enormen Bedeutungszuwachs in der betrieblichen Praxis erzielt hat.
Eine seiner tiefsten Wurzeln besitzt BGM in der demografischen Entwicklung in Deutschland. Die Belegschaften werden älter und müssen länger in Arbeit und Produktivität verbleiben. Viele große Unternehmen begannen daher, Konzepte zu entwickeln, wie Gesundheit gezielt erhalten oder gefördert werden kann. Gleichzeitig sorgte die Demografie auch für den inzwischen eingetretenen Arbeitskräftemangel und ein gutes Betriebliches Gesundheitsmanagement wurde zu einem der Aushängeschilder eines attraktiven Arbeitgebers.
BGM wird immer noch in vielen Fällen gleichgesetzt mit der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), geht jedoch mehrere Schritte weiter und besitzt vor allem eine ganzheitliche betriebliche Perspektive. Als BGF werden konkrete Maßnahmen zur Gesundheitsförderung der Beschäftigten bezeichnet, die zumeist vorbeugend gegenüber spezifischen tätigkeitsbezogenen Risiken wirken sollen – etwa Pausengymnastik zur Vermeidung von Muskel-Skelett-Erkrankungen durch zu langes Sitzen im Büro oder Yogakurse zur Reduzierung des Stresslevels. Es gibt jedoch auch Maßnahmen beziehungsweise Angebote, die die allgemeine Gesundheit der Mitarbeitenden positiv beeinflussen sollen. Dazu gehören beispielsweise gesunde Ernährungskonzepte in der Kantine oder das Angebot von Ernährungsberatungen bis hin zur freundlichen Aufforderung, lieber die Treppe als den Aufzug in den 1. Stock zu nutzen. Häufig bewegen wir uns in der BGF im Bereich der Verhaltensprävention: Den Beschäftigten werden Angebote gemacht, um mehr oder weniger eine Verhaltensänderung zu einem gesünderen Lebensstil zu erzielen.
Das schmeckt im wahrsten Sinne des Wortes nicht allen gleichermaßen und die größte Herausforderung in der Betrieblichen Gesundheitsförderung bleibt es, diejenigen Beschäftigten zu erreichen, die sich per se wenig um ihre Gesundheit oder einen gesunden Lebensstil bemühen. Hier werden in den Betrieben bereits unterschiedliche Lösungsansätze verfolgt, denn bei der BGF wird oft auch deren Effektivität hinterfragt, die theoretisch über vermiedene Krankheitstage oder ähnliche KPIs durchaus in Geld darstellbar wäre. Zu einer effektiven Betrieblichen Gesundheitsförderung gehört es auch, nicht einen riesengroßen bunten Strauß aus wundervollen Angeboten auf die Beschäftigten auszuschütten, sondern bedarfsorientiert und nachhaltig vorzugehen.
An diesem Punkt wird auch die Brücke zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement geschlagen. BGM ist ein betriebliches Konzept, das alle relevanten Themen und Funktionen die Gesundheit der Beschäftigten betreffend vernetzt, strategisch ausrichtet und gemeinsam führt. Das bedeutet: Zu den Stakeholdern des BGM gehören ebenso die Fachkraft für Arbeitsmedizin und der Betriebsarzt, und der Gesundheitsmanager in den Arbeitsschutzausschuss (ASA). Darüber hinaus sollten auch weitere Bereiche, wie etwa das seit nunmehr 20 Jahren gesetzlich geforderte Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), das in vielen Organisationen jedoch eher in der Personalabteilung verortet ist, zumindest an das BGM angedockt werden. Weitere Angebote, etwa ein sogenanntes „Employee Assistance Program“ (EAP), das eine externe professionelle Beratung für die Mitarbeitenden in schwierigen privaten oder beruflichen Situationen gewährleistet, sind denkbar und müssen vernetzt werden.
Wichtige Multiplikatoren im BGM sind neben den Betriebs- oder Personalräten zudem die Führungskräfte. Wie jeder andere Managementprozess funktioniert auch BGM nur top-down, kann also durchaus an den Führungskräften scheitern. Hier geht es nicht lediglich darum, Führungskräfte in ein Seminar zur gesunden Führung zu schicken. Sie müssen die Angebote mittragen, mitvermarkten und gegebenenfalls einzelne Mitarbeitende hinsichtlich ihrer Teilnahme an Angeboten zu gewinnen versuchen. Führungskräfte sind auch in den Prozess der Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagement einzubeziehen.
Die Implementierung von BGM im Betrieb ist zunächst ein Veränderungsprozess, wenn auch ein gut gemeinter. Deshalb sollte strukturiert und unter Einbindung der Mitarbeitenden vorgegangen werden. Der Lenkungskreis des BGM-Netzwerks der Metropolregion Rhein-Neckar hat einen kleinen Leitfaden „Schritt für Schritt zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement“ entwickelt, wie bei der Implementierung vorgegangen werden sollte: Über eine Bestandsaufnahme und die Festlegung der Zielsetzung bis hin zur Durchführung von Maßnahmen und der Evaluation ihrer Wirksamkeit sind einzelne Schritte und Fragestellungen dargestellt. Die wichtigste Frage ist vielleicht die nach dem Budget, diese sollte sehr früh geklärt werden. Denn es gibt kaum etwas Frustrierenderes als sich für die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen einsetzen zu wollen und am Ende gerade mal genug Geld für einen kleinen Obstkorb pro Jahr zur Verfügung zu haben.