Wer sagt, dass im Büro keine Arbeitsunfälle passieren? Sie passieren. Trotzdem liegt der Schwerpunkt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in den Büros auf der Vermeidung von Muskel-Skelett-Erkrankungen, von Erkrankungen des Sehapparats und auf der Reduzierung von Beanspruchungen durch eine schlechte Raumakustik oder durch Stress. Denn diese kommen bei der Büroarbeit am häufigsten vor. Auch zu Hause. Einen guten Gesundheitsschutz ebenso bei der zunehmenden hybriden Büroarbeit zu gewährleisten, stellt daher eine große Herausforderung für Arbeitgeber und Führungskräfte dar.
Wie man ergonomisch korrekt im Büro arbeitet und dadurch Erkrankungen vermeidet, wird durch zahlreiche Regeln, Normen und Informationen oftmals zentimetergenau definiert. Als Basis dient hier die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), die durch zahlreiche Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR) konkretisiert wird. Etwa durch die ASR A1.2, die sich mit Raumabmessungen und Bewegungsflächen befasst, oder die ASR A3.4 Beleuchtung, die ASR A3.5 Raumtemperatur und die ASR A3.7 Lärm. Und ganz neu, weil nämlich erst im Juli 2024 veröffentlicht: die ASR A6 Bildschirmarbeit. Bedauerlicherweise gelten all diese Vorgaben nicht für die mobile Arbeit zu Hause, gemeinhin als Homeoffice bekannt, sondern nur für die sogenannte Telearbeit – also den vertraglich vereinbarten Arbeitsplatz in den eigenen vier Wänden. Auch die ASR A6 klammert in Punkt 2 Absatz 2 die „Verwendung von Bildschirmgeräten außerhalb von Arbeitsstätten (z. B. beim Kunden, in Verkehrsmitteln, im Privatbereich) oder außerhalb von Telearbeitsplätzen“ explizit aus. Das bedeutet prinzipiell, dass für Millionen von hybrid arbeitenden Menschen zurzeit keine verbindlichen Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz existieren, wenn sie gerade nicht im Büro sind.
Selbstverständlich gilt jedoch stets die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergibt. Ebenso die Verpflichtung zur Gefährdungsbeurteilung und zur Unterweisung. Die Gefährdungsbeurteilung beißt sich jedoch mit dem Grundgesetz und der in Artikel 13 formulierten Unverletzlichkeit der Wohnung und ist auch organisatorisch schwierig umzusetzen – deshalb wird oft darauf verzichtet und man belässt es, wenn überhaupt, bei einer Unterweisung. Dort wird jedoch garantiert nicht vermittelt, dass die Arbeit am Esstisch mit schicken Designerstühlen erfolgen soll. Tut sie aber oft doch, weshalb im Sinne der Gesundheit Regulierungen durchaus wünschenswert sein könnten.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat im Rahmen einer Politikwerkstatt mit über 100 Experten über die mobile Arbeit diskutiert und anschließend einen Handlungsrahmen herausgegeben – die „BMAS-Empfehlungen für gute hybride Bildschirmarbeit“. Diese Empfehlungen sollen als Vorschläge oder als Orientierungshilfe verstanden werden. Sie haben keinerlei verpflichtende Wirkung und auch nicht annähernd den Rang einer technischen Regel. Man wollte eben keine der schon zahlreich bestehenden Betriebsvereinbarungen zur mobilen Arbeit torpedieren. Trotzdem lohnt sich ein genauer Blick auf die Publikation und die einzelnen formulierten Schritte.
Zunächst aber stellt das Ministerium klar: „Arbeitgeber müssen, auch wenn keine Telearbeit vereinbart wird, faire und sichere Lösungen für die Arbeitsgestaltung etablieren. Für Beschäftigte erhöhen sich die Anforderungen an die Selbstorganisation. Beschäftigte und ihre betrieblichen Interessenvertretungen müssen angemessen beteiligt werden. Für Führungskräfte sind die Gestaltung von Führung auf Distanz, das Zusammenhalten von Teams an unterschiedlichen Orten und das Informationsmanagement besonders herausfordernd.“ Warum steckt jetzt plötzlich doch ein „müssen“ im ersten Satz? Weil sich das allein aus den grundsätzlichen arbeitsschutzrechtlichen Pflichten bereits ergibt!
Im Weiteren beschreibt die Publikation, welche sieben Handlungsschritte eingehalten werden sollten, um einen Rahmen für die Ausgestaltung hybrider Bildschirmarbeit zu schaffen und Handlungssicherheit für die betriebliche Praxis zu geben. Darunter fallen unter anderem Regelungen zur Arbeitszeit und zur Erreichbarkeit im Homeoffice. Das Arbeitszeitgesetz gilt zu Hause übrigens auch. Abends, nachdem die Kinder im Bett sind, noch zwei, drei Stunden eine Präsentation fertigzustellen, um dann am nächsten Morgen um kurz nach Acht im Büro zu sein, dürfte regelmäßig mit den einzuhaltenden Ruhezeiten kollidieren.
Man darf nie vergessen, dass die Regelungen zum Arbeitsschutz, aber ebenso die zur Arbeitszeit, nicht willkürlich getroffen wurden, sondern Menschen vor negativen Folgen schützen sollen. Das hat alles seinen Sinn, auch wenn manche anderen Dinge im ersten Moment „praktischer“ oder „bequemer“ erscheinen. Deshalb ist es die Aufgabe der Arbeitgeber und der Führungskräfte, die Beschäftigten im Homeoffice ganz besonders intensiv auf mögliche Gefährdungen hinzuweisen und entsprechend zu unterweisen. Und weiß eine Führungskraft von gesundheitswidrigen Umständen bei Beschäftigten zu Hause, so darf sie die jeweilige Person auch nicht ins Homeoffice schicken.
Neben den teilweise unklaren Pflichten gehört zur gesunden hybriden Büroarbeit definitiv auch eine Kür: Über den Gesundheitsschutz hinaus sollten Arbeitgeber Fördermaßnahmen für die Gesundheit der Mitarbeitenden anbieten, die sie auch im Homeoffice erreichen. Dazu gehört neben der Einbindung in das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) und die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) insbesondere die Bewegungsförderung. Denn Bürobeschäftigte haben die längsten Sitzzeiten gegenüber allen anderen Berufsgruppen. Gegen dieses Gesundheitsrisiko hilft auch kein regelmäßiges Fitnesstraining: Schon 2016 wiesen Wissenschaftler nach, dass lediglich mindestens 60 Minuten pro Tag oder mehr an wenigstens moderater physischer Aktivität das Sterblichkeitsrisiko aufgrund langer Sitzzeiten kompensieren könne. Ulf Eklund et al. fanden damals heraus, dass das erhöhte Mortalitätsrisiko für diejenigen, die länger als acht Stunden am Tag säßen und gleichzeitig am wenigstens aktiv seien, dem „des Rauchens und der Fettleibigkeit“ gleiche. Sitzen ist das neue Rauchen – jetzt wissen Sie, woher dieser Spruch kommt.
Bewegungsförderung, sowohl im Büro als auch zu Hause, lässt sich nicht nur durch Übungen und Fitnessprogramme umsetzen. Auch das Mobiliar und intuitive Bewegungsanreize können wichtige Bausteine im Konzept sein. Arbeiten im Stehen sollte gelegentlich genauso daheim möglich sein. So werden nicht nur der Gesundheitsschutz, sondern ebenfalls die Gesundheitsförderung bei hybrider Büroarbeit gewährleistet. Nun müssen sich beide Seiten – Arbeitgeber und Beschäftigte – nur noch darauf einlassen.