Experten Blog by Wandel Werker
Der Einfluss von Sicherheitsingenieuren und Fachkräften für Arbeitssicherheit auf die Haltung von Führungskräften und Mitarbeitern
Es ist Mittwochvormittag 10:00 Uhr und das Smartphone des Schichtführers erinnert ihn daran, dass jetzt die halbjährliche Sicherheitsbegehung stattfindet. Da öffnet sich auch schon die grün gestrichene schwere Eingangstür der Produktionshalle. Mit einem genervten Blick prüft der Schichtführer, wer die Halle betritt. Es ist die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Mit einem karierten DIN A4 Block samt angeklemmten dunkelblauen Kugelschreiber in der linken Hand und schnellen Schrittes nähert sich die Fachkraft dem Büro des Schichtführers. Die Beiden begrüßen sich nüchtern und starten dort, wo die Sicherheitsbegehung seit Jahren beginnt: An der Maschine A. Beim Blick auf den Begehungsbericht vom letzten Mal erkennt die Fachkraft für Arbeitssicherheit, dass nahezu keine Veränderungen erkennbar sind. Die bewegten Teile an der Maschine sind weiterhin weitestgehend ungeschützt und es gibt wieder einen Maschinenbediener der seine Persönliche Schutzausrüstung nicht richtig trägt. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit schaut den Schichtführer an und erklärt ihm in einem bestimmenden Ton, dass der Schichtführer seiner Arbeit nicht nachkommen und sowieso schon mit einem Bein im Knast stehen würde. Aus der Ferne fotografiert er den Mitarbeiter, der seine Schutzausrüstung nicht trägt und sagt dem Schichtführer, dass er mit diesem Mitarbeiter sprechen solle. Nach 60 Minuten gefühlten Konflikt zwischen alle Parteien begibt sich die Fachkraft für Arbeitssicherheit in Richtung Ausgang. Der Schichtführer zeigt ihm die Maschine C, an der seit dem letzten Besuch einige Schutzeinrichtungen installiert worden sind. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit nimmt diese Veränderung zur Kenntnis, sagt “okay” und verlässt die Halle. „Was für ein weltfremder Typ”, schimpft der Schichtführer und ergänzt, dass er noch so viel mehr zu tun hätte als nur Arbeitsschutz. Die Mitarbeiter*innen kehren auch aus ihren “Verstecken” zurück und bestätigen ihren Schichtführer.
Diese kurze Geschichte stellt in einigen Unternehmen leider die tägliche Realität dar. Die Führungskräfte und Mitarbeiter empfinden den Arbeitsschutz als ein notwendiges Übel und sehen den Sicherheitsingenieur bzw. die Fachkraft für Arbeitssicherheit als eine Art Polizisten, der nur auf Mängel hinweist und einen Bericht schreibt, der nur Ärger bringt und dann erst wieder in ein paar Wochen oder Monaten auftaucht. Der Sicherheitsingenieur und die Fachkraft für Arbeitssicherheit erkennt das seine Maßnahmen keinen Fortschritt bringen und vielleicht steigt sogar seitens der Geschäftsleitung der Druck auf seinen Schultern. Ohne Zweifel eine Situation, die für alle Seiten nicht förderlich ist und schon gar nicht für die Weiterentwicklung der Sicherheitskultur. Erfahrungsgemäß ist es zielführend, wenn Sicherheitsingenieure und Fachkräfte für Arbeitssicherheit den ersten Schritt wagen und versuchen die Realität der Führungskräfte und Mitarbeiter zu verstehen. Schließlich gibt es nicht nur die eine Realität.
Hierzu ein einfaches Beispiel: Vier Menschen sitzen an einem Tisch und schauen aus vier Perspektiven auf eine Flasche und ein Glas. Für den Einen steht das Glas hinter der Flasche. Für alle anderen woanders. Wer hat hier recht? Im Endeffekt hat zum Beispiel auch der recht, der aus seiner Sicht das Glas vor der Flasche sieht.
Wie können Sicherheitsingenieure und Fachkräfte für Arbeitssicherheit mit diesem Wissen nun die konfliktreiche Situation zu Führungskräften und Mitarbeitern verändern? Ein Schritt bei Sicherheitsbegehungen wäre zum Beispiel, dass die folgenden Handlungen vorgenommen werden:
Auf Augenhöhe zur Führungskraft bleiben und offen hinterfragen, aus welchen Gründen die Schutzmaßnahmen an der Maschine A noch nicht umgesetzt worden sind. Vielleicht wurden die Mängel an der Maschine C für gefährlicher empfunden, vielleicht gab Lieferschwierigkeiten bei den Schutzeinrichtungen oder die Führungskraft war überfordert und braucht mehr Unterstützung bei der Umsetzung.
Auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern sprechen und zwar nicht nur wenn ein unsicheres Verhalten erkannt wird, sondern auch bereits beim Betreten der Produktionshalle in Form von Small-Talk. Sollten Mitarbeiter die Persönliche Schutzausrüstung nicht tragen empfiehlt es sich mit den Menschen zu sprechen bevor ein Foto gemacht wird. Vielleicht wird das Foto sogar überflüssig.
Positives Feedback gegenüber Führungskräften und Mitarbeitern bei positiven Entwicklungen. Wenn im Beispiel die Maschine C jetzt den rechtlichen Vorgaben entspricht, sollte der Sicherheitsingenieur und die Fachkraft für Arbeitssicherheit lobende Worte finden. Lob ist eine der besten Verstärkungen um Verhalten zu verändern.
Wenn Führungskräfte und Mitarbeiter heute noch glauben, dass während der Arbeit auch mal ein Arbeitsunfall passieren kann, dann braucht es eine Veränderung in der Haltung der Menschen. Hier machen Sicherheitsingenieure und Fachkräfte für Arbeitssicherheit den Unterschied, die sich als Coach im Arbeitsschutz sehen.
Mit den richtigen Strategien und Methoden lässt sich die Haltung von Führungskräften und Mitarbeitern auf eine neue Stufe der Sicherheitskultur führen. Denn auch wenn die rechtliche Verantwortung bei den Führungskräften liegt, braucht es Experten, die mögliche Wege aufzeigen.
Im nächsten Blogbeitrag wird näher auf die Methode eingegangen, mit der die Haltung zum Arbeitsschutz verändert werden kann.
Zum Autor:
Stefan Ganzke
Experte für Sicherheitskultur und Kommunikation im Arbeitsschutz
WandelWerker Consulting GmbH
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